Herr Schnücker, warum benötigt ein so traditionsreiches Unternehmen wie die Verlagsgruppe Rhein Main eine neue Dachmarke?
Die Medienwelt ist seit jeher eine der agilsten Branchen. Und auch, wenn es vielen Kunden und Partnern vielleicht anders vorkommt: Die Verlagsgruppe Rhein Main gibt es in dieser Form als Unternehmensdach auch erst seit 1992. Die Historie reicht von der Ersterscheinung des „Straßen-Anzeiger“ im Jahr 1850 über die „Mainzer Verlagsanstalt“ bis eben hin zur „Verlagsgruppe Rhein Main“. Dass aus diesen dynamischen Entwicklungen beispielsweise auch die renommierte Frankfurter Allgemeine Zeitung entstand, wissen viele gar nicht. Ich möchte damit sagen: Es ist keinesfalls ungewöhnlich, dass man das Versprechen an seine Kunden, ihre Bedürfnisse und Anforderungen zu erfüllen, im Laufe einer langen Unternehmensgeschichte immer wieder neu abgibt. Und die Dachmarke „VRM“ in ihrer jetzt kreierten Ausprägung ist heute für uns genau dieses Versprechen, das unsere Wurzeln bewahrt, aber konsequent auf die Herausforderungen der nächsten Jahre ausgerichtet ist.
Wenn wir uns unsere Kunden und Produkte anschauen, dann fällt auf, dass unsere Tageszeitungen natürlich nach wie vor der Kern des Unternehmens sind. Aber es wird auch deutlich, dass sich dieser Zustand längst nicht mehr auf gedruckte Erzeugnisse beschränkt. E-Paper haben wir jetzt seit mehr als zehn Jahren im Angebot, wir sind über News-Apps oder Messenger-Dienste auf den Smartphones der Menschen. Im Jahr sind wir auf über 300 Veranstaltungen präsent, bieten unseren Kunden Reisen an oder kreieren Luxusprodukte wie die Armbanduhr „achtzehnsechzehn“ zum rheinhessischen Jubiläum im vergangenen Jahr.
Diese Bandbreite wollen wir unter einem starken Dach zusammenführen und für unsere Kunden noch transparenter gestalten. Das ist keine Abkehr von journalistischen Werten, sondern eine stringente Ergänzung im Sinne einer ganzheitlichen Gestaltung der Region, in der wir alle leben. Man darf eines nicht vergessen: Mit unseren Angeboten im Rhein-Main-Gebiet und in Mittelhessen erreichen wir so viele Menschen wie noch niemals zuvor – erst recht nach dem Zusammenschluss mit den Echo Medien vor zwei Jahren.
Was kennzeichnet die Medienmärkte aus Ihrer Sicht in diesen Tagen?
Die Medien sind von gesellschaftlichen Veränderungen als Kommunikationsplattform in der Regel sehr früh betroffen. Das galt für Gutenberg und das gilt auch für uns heute. Die Digitalisierung trifft mittlerweile flächendeckend alle Branchen, auch die, die sich noch vor Jahren sehr sicher wähnten. Die Geschäftsmodelle der Banken geraten ins Wanken, die Automobilindustrie sieht sich großer Konkurrenz aus dem amerikanischen Technologiesektor ausgesetzt, der stationäre Einzelhandel sucht seine Antwort auf Amazon und Zalando. All das gilt natürlich für die Medienmärkte auch – wir waren nur früher betroffen und sind folglich schon etwas weiter in dieser Entwicklung. Die Reichweiten gedruckter Tageszeitungen sinken nicht erst seit gestern, die Anforderungen unserer Werbekunden steigen. Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung spielt auch der Zugang zu den passenden Fachkräften zunehmend eine Rolle für uns. Das bedeutet, dass wir unser Kerngeschäft zwar erhalten und stärken möchten. Es ist aber für uns alltäglich, neue Erlösmodelle zu suchen, Dinge auszuprobieren und gemeinsam mit unseren Kunden neue Wege zu gehen.
Was bedeuten Megatrends wie Digitalisierung oder Globalisierung für einen regionalen Medienkonzern?
Rheinland-Pfalz und Hessen sind nicht das Silicon Valley. Aber die Entwicklungen, die die digitale Revolution mit sich bringt, schlagen sich nahezu überall auf der Welt nieder. Ein regionales Medienunternehmen ist nach wie vor der erste Ansprechpartner für Menschen, die gerne in unserem Verbreitungsgebiet leben und Informationen dafür benötigen. Wo finde ich passende Kindergartenplätze? Wo entsteht neuer Wohnraum? Welche Auswirkungen haben die Entscheidungen in der Kommunal- und Landespolitik? Was geht bei meinem Lieblings-Sportverein vor? Das alles sind Fragen, die durch die Digitalisierung nicht aus der Welt geschafft werden und die wir beantworten möchten. Gleiches gilt für unsere Werbekunden, für die wir mittlerweile auch Webseiten gestalten, Suchmaschinenoptimierung betreiben oder Online-Marketing-Kampagnen durchführen.
Deshalb ist es unser Ansatz, den wir auch als Grundlage unseres neuen Markenleitbildes verstehen, den Menschen hier in der Region den Zugang zu allen notwendigen Informationen und Kommunikationstechnologien zu verschaffen, die sie zur gesellschaftlichen Teilhabe benötigen.
Neu ist, dass unsere Konkurrenten nicht mehr nur im direkten Umfeld sitzen, sondern überall auf der Welt verteilt sind. Dadurch entziehen sie sich teilweise einer verantwortungsvollen Beteiligung an unserer Gesellschaft durch Steuern, Abgaben oder weiteres Engagement. Das entspricht nicht meiner Vorstellung von fairem Wettbewerb und sozialer Gewissenhaftigkeit.“
Und wohin wird die Reise bei der Entwicklung der Medienunternehmen in Deutschland gehen?
Wenn Sie sich die aktuelle, weltweite Debatte um sogenannte ‚Fake-News‘ anschauen, dann können seriöse Medienunternehmen künftig nur an Bedeutung gewinnen, wenn sie ihre Aufgabe konsequent wahrnehmen. Und zwar sowohl in den USA als auch in Europa. Die sozialen Netzwerke haben ihre Stärken in der schnellen Generierung von Reichweiten und der raschen Verbreitung von Inhalten. Aber es wird immer offenkundiger, dass die an sich begrüßenswerte Möglichkeit, mehr Menschen eine direkte Stimme zu geben, nicht überall zu einer Stärkung unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung führt, im Gegenteil. Wir sehen uns in diesen Tagen einer Unübersichtlichkeit an Informationen ausgesetzt, wie wir sie wohl nie zuvor erlebt haben. Viele Inhalte, die aus den verschiedenen, interessengeleiteten Lagern, teilweise maschinell unterstützt durch sogenannte ‚Chatbots‘, rasant verbreitet werden, verunsichern die Menschen und wirken sich teilweise demokratiegefährdend aus.
Ich glaube, die Funktionen, die wir Medienhäuser da haben, werden deshalb zunehmend wichtiger: Recherche, Prüfung, Einordnung, respektvolle aber unabhängige und kritische Berichterstattung. Wenn wir diese Grundsätze beherzigen und als starke Medienmarke für diese Werte einstehen, bleiben wir auch in Zukunft relevant. Zusätzlich beschäftigen sich viele Verlage mit der Diversifikation ihrer Geschäftsmodelle und betreten ganz neue Märkte.
Wir haben daher im Rahmen unseres Markenprozesses genau herausgearbeitet, welche Werte unserem Handeln zu Grunde liegen und welche Angebote wir auf dieser Basis für unsere Kunden machen möchten. Mit unseren Medien, in erster Linie den Tageszeitungen und Wochenblättern, möchten wir inspirieren und informieren – und zwar auf allen Kanälen. Mit zielgruppenspezifischen Produkten oder Events wollen wir die Menschen verbinden, über Regionen und Generationen hinaus. Unsere dritte Säule sind unsere Services, die Menschen den Alltag erleichtern und sie unterstützen sollen, wie zum Beispiel Kursangebote im Rahmen der VRM-Akademie. Und letztendlich wollen wir mit unserem Engagement die Region gestalten, wie wir es bei den Projekten zur Leseförderung oder Integration tun.
Was wird aus den bewährten Produkten, was kommt an neuen Geschäftsmodellen hinzu?
Unsere Tageszeitungen, Wochenblätter oder Stadtteilzeitungen werden auch künftig eine zentrale Rolle in unserem Angebot spielen. Wir haben in Rüsselsheim vor wenigen Jahren eines der modernsten Druckzentren in Europa in Betrieb genommen und sehen im Printmarkt unverändert eine hohe Nachfrage unserer Leserinnen und Leser sowie der Werbekunden. Zudem erleben wir – trotz des Gefühls der steigenden Geschwindigkeit um uns herum – einen stärker werdenden Drang zur Entschleunigung und Achtsamkeit. Es gibt Slow Food, einen regelrechten Yoga-Hype und immer mehr Musiker, die wieder Vinylplatten produzieren. In diesem Kontext leben auch Druckerzeugnisse auf, weil sie den Menschen die Hoheit über ihre Zeit zurückgeben.
Dennoch wissen wir auch, dass die Zukunft verstärkt digitalen Geschäftsmodellen gehört. Daher haben wir mittlerweile eine Vielzahl an Informations- oder Rubrikenportalen entwickelt. Alleine über die Amateursportplattform FuPa.net verzeichnen wir im Schnitt über vier Millionen Seitenaufrufe im Monat. Wir starten in diesen Tagen mit dem Veranstaltungsportal ‚VRM-Event‘, das nahezu das gesamte Rhein-Main-Gebiet abdeckt.
Und wir gehen mit unseren Innovationen verstärkt auf kleinere Zielgruppen zu, im Print- wie im Digitalbereich. Seit 2014 kreieren wir regionale Magazine wie ‚Unser Rheinhessen‘ oder ‚Unser Rheingau‘. Auch das historische Magazin ‚Unsere Geschichte‘ ist ein äußerst erfolgreiches Produkt, das genau wie unsere Kinderzeitung ‚Kruschel‘ mit dem ‚European Newspaper Award‘ ausgezeichnet wurde. Mit ‚Mensch! Westend‘ oder ‚HIER in Wiesbaden‘ möchten wir einen Beitrag zum interkulturellen Zusammenleben in unserer Region leisten. Zusätzlich arbeiten wir auch am Aufbau eines hochwertigen Onlineshops für verschiedene Produkte und Reisen.
Wird die VRM in zehn Jahren noch ein Medienunternehmen sein?
Selbstverständlich. Wenn Sie den sprachlichen Ursprung des Wortes „Medium“ betrachten, dann geht es dabei doch um die ‚Mitte‘ einer Gesellschaft, um die Vermittlung von Informationen zwischen Sendern und Empfängern und um die Herstellung von Öffentlichkeit, kurz: um das Zusammenführen von Menschen. Unser neuer Claim „Wir bewegen“ steht dabei genau für diesen Ansatz. Wir wollen unsere Region aktiv mitgestalten, wollen entscheidende Impulse setzen und die Menschen, die hier leben, inspirieren, verbinden und unterstützen. Dabei wird sich der Fokus möglicherweise an manchen Stellen von der gedruckten Tageszeitung hin zu weiteren Digitalerzeugnissen oder ergänzenden Produkten verschieben. Im Kern aber wird es für uns immer darum gehen, die Menschen im Rhein-Main-Gebiet mit den Informationen, Produkten und Services zu versorgen, die sie zur Teilnahme an der Gesellschaft benötigen, und somit unsere Rolle zur Stärkung des Gemeinwohls und der Demokratie wahrzunehmen.
Mehr Informationen zum Markenrelaunch der VRM finden Sie auch hier.