MAINZ und Köln – Zum dritten Mal wurde der Gutenberg-Recherchepreis U35 vergeben. Die vier Preisträger*innen wurden aus 71 Einsendungen ausgewählt.
Charlotte Köhler wurde für ihre Reportage „Derek *2008 +2019“ mit dem ersten Preis ausgezeichnet, der mit 7000 Euro dotiert ist. Sie schrieb ihr Stück für das Magazin „Go #16.2021“ der Reportageschule Reutlingen. Die Süddeutsche Zeitung machte es kurze Zeit später einer breiten Öffentlichkeit zugänglich. Die Autorin hat mit ihrer Arbeit den Lebensweg eines Kindes rekonstruiert, das sich mit elf Jahren das Leben nimmt. Ein Kind, dessen Mutter Alkoholikerin ist, das mit zwei Jahren ins Heim kommt. Derek scheitert an Behörden, Betreuern und an einer Gesellschaft, die sich den Problemen dieses „Systemsprengers“ nicht gewachsen zeigt. Entstanden ist ein Zeitdokument, das Versagen an vielen Stellen offenlegt und auf Missstände aufmerksam macht. Charlotte Köhler verliert sich trotz der erschütternden Geschichte nicht in Pathos. Sie zeichnet sachlich und geradlinig das Schicksal von Derek nach. Sprachlich reduziert, dennoch eindringlich. Ein Text, der in jeder Hinsicht mitnimmt.
https://www.reportageschule.de/wp-content/uploads/2021/11/Go16_21.pdf
Daniel Noglik, Lokalreporter der Ostfriesen-Zeitung, hat sich mit „Die Hells-Angels-Wiesmoor-Connection“ (Ostfriesen-Zeitung, 8. April 2022) den zweiten Preis gesichert, der mit 5000 Euro dotiert ist. Im Zuge einer Langzeit-Recherche deckt der Autor ein zweifelhaftes Firmengeflecht in seiner Heimatprovinz auf, das von Döner-Buden, Shisha-Bars über betrügerische Corona-Test-Stationen bis in Bremer Bordellkreise reicht. Um kriminellen Clan-Strukturen auf die Spur zu kommen, muss man nicht nach Neu-Kölln gehen und es braucht nicht zwingend mehrköpfige Rechercheteams. Daniel Noglik reichen seine Hartnäckigkeit, eine Portion Unerschrockenheit, vertrauensvolle Kanäle zu den Ermittlern und eine Redaktion, die dem Kollegen ab und zu den Rücken freihält. Der Autor und seine Kolleg*innen beweisen, dass auch die kleinste Redaktion investigativen Journalismus leisten kann – wenn sie ihn sich leistet.
https://www.oz-online.de/artikel/1218674/Die-Hells-Angels-Wiesmoor-Connection
Ruben Schaar wurde für seine Recherchen zu „das Geschäft mit der Wohnungsnot“ (Main-Post), 31.3.2022) der mit 3000 Euro dotierte dritte Preis zuerkannt. Der Autor hat einen Mieten- und Sozialbetrug in großem Stil aufgedeckt. Randgruppenmieter hausten in Würzburg unter unwürdigen Bedingungen. Gegenüber Jobcentern und Sozialämtern wurden bis zu dreifach höhere Quadratmeterzahlen abgerechnet, die keinem einzigen Verdachtsmoment nachgingen. Ohne die hartnäckige und akribische Arbeit des Reporters wäre dieser Millionenbetrug nicht aufgedeckt worden. Eine Betrugsmasche, wie sie wohl in jeder Großstadt vorkommt und ein Musterbeispiel dafür, wie Lokalzeitungen ihre Wächterfunktion wahrnehmen.
https://www.mainpost.de/specials/story/das-geschaeft-mit-der-wuerzburger-wohnungsnot-jobcenter-bezahlt-wohnraum-den-es-nicht-gibt-art-10762352
Alexander Gutsfeld bekam einen mit 3000 Euro dotierten Sonderpreis für „Narcoland. Das Meth-Kartell im Dreiländereck“ (Aachener Zeitung, 24.12.2021) zugesprochen. Der Autor hat seine spannende, ja atemberaubende Recherche zum Übergriff eines Crystal-Meth-Kartells von Holland nach Nordrhein-Westfalen in eine fünfteilige Podcast-Serie gegossen, in der sich die Puzzleteile seiner Recherchen immer mehr zu einem Gesamtbild fügen. Ein ums andere Mal zeigt Gutsfeld einen ausgeprägten Sinn für Dramaturgie und Timing. Bei der Realisierung seiner Abschlussarbeit für die Münchner Journalistenschule hat er mit der Aachener Zeitung zusammengearbeitet. Alexander Gutsfeld beweist mit seiner exzellenten Arbeit, dass sich akribische Recherchen auch in Podcasts transportieren lassen, dass Podcasts nicht nur Debatten- und Unterhaltungsmedium sein müssen.
www.aachener-zeitung.de/narcoland
Die diesjährigen Preisträger wurden am 29. September im Rahmen einer Preisverleihung in Mainz persönlich geehrt. Adressaten des Gutenberg-Recherchepreis U35 sind Nachwuchstalente von Lokal- oder Regionalzeitungen sowie von journalistisch unabhängigen Onlinemedien im Alter bis zu 35 Jahren. Der Preis soll junge Talente ermuntern, auch in schnellen und meinungsoffensiven Zeiten hartnäckige Recherche zu pflegen. Er versteht sich zugleich als Aufforderung an Verlags- und Redaktionsleitungen, aufwändige Recherchen möglich zu machen.
Friedrich Roeingh, Vorsitzender der Jury und Chefredakteur VRM, zeigte sich beeindruckt: „Die exzellenten Arbeiten unserer Preisträger zeigen, wie wichtig akribische Recherchen in Zeiten von Fake-News und Verschwörungsmythen sind. Dass die Zahl und die Qualität der Bewerbungen abermals gestiegen sind, freut die Initiatoren des Preises und die Jury besonders.“
Die fünfköpfige Jury: Friedrich Roeingh, Chefredakteur VRM (Vorsitz); Annette Binninger, Mitglied der Chefredaktion der Sächsischen Zeitung; Carsten Fiedler, Chefredakteur Kölner Stadt-Anzeiger, Anke Vehmeier, Leiterin Lokaljournalistenprogramm der Bundeszentrale für politische Bildung; Werner Schulte, Geschäftsführer des Lingen Verlags.
Im Jahr 2023 wird der Preis erneut an junge Recherche-Talente von regionalen Print- oder Onlinemedien vergeben. Die Bewerbungsfrist endet im Mai 2023.
Weitere Informationen: www.gutenberg-recherchepreis.de
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